Neue Anwendungen, neue Produkte

Anwendersymposium Fuzzy-Neuro-Initiative NRW

Kreditwürdigkeitsanalyse mit Fuzzy Entscheidungsunterstützung

K. Schuster, Citibank Privatkunden AG, Düsseldorf
J. Kühlen, Fuzzy Demonstrations-Zentrum Dortmund
im ICD Informatik Centrum Dortmund e.V., Dortmund

1. Einleitung

Analyse- und Optimierungsentscheidungen basieren auf einer Vielzahl technischer und nicht- technischer Fragestellungen. Aus- und Umrüstung von Anlagen, Auswahl und Analyse von Betriebsmitteln, Planung von Fertigungsabläufen oder optimales Nutzen vorhandener Kapazitäten sind Beispiele solcher technischer Entscheidungsbereiche.
Eher managementorientierte oder kaufmännische Fragestellungen sind zwar thematisch anders verankert, stellen aber von der Struktur der Entscheidungssituationen her vergleichbare Aufgaben, etwa in der Lieferantenanalyse oder bei der Kreditwürdigkeitsanalyse dar. Die Komplexität der zu behandelnden Entscheidungssituationen leitet sich daraus ab, dass die Entscheidungen unter Berücksichtigung einer Reihe von Entscheidungszielen mit unterschiedliche Prioritäten getroffen werden.
Die Entscheidungsziele sind in den seltensten Fällen unabhängig voneinander. In der Regel ist eine komplexe Entscheidungssituation gerade dadurch gekennzeichnet, dass die Ziele zum Teil gleich- und zum Teil gegenläufig sind. Eine wesentliche Aufgabe bei der Entscheidungsfindung kommt daher der Ermittlung einer ausgewogenen Balance zwischen den Entscheidungszielen zu.

2. Das Entscheidungsmodell im FuzzyDecisionDesk

Die aus der Literatur bekannten Arten von Entscheidungsmodellen wie das MODM (Multiple Objective Decision Making), das MADM (Multiple Attribute Decision Making) [Zimm91], der axiomatische Ansatz [DuPr84], [Yage79] oder der Ansatz des AHP [Saat80] sind durch restriktive Modellannahmen gekennzeichnet [Feli94].
Wichtig für die Konzeption eines geeigneten Entscheidungsmodells ist das zugrunde gelegte Verständnis von einer intuitiv nachvollziehbaren Entscheidungsfindung. Dem hier vorgestellten Konzept liegt ein Entscheidungsmodell zugrunde, dessen Prinzip auf der Analyse von gleichläufigen und gegenläufigen Beziehungen zwischen Entscheidungszielen beruht [Feli94]. Das Konzept liegt in Form des Software-Tools "FuzzyDecisionDesk" vor.

Das Entscheidungsmodell stützt sich auf die Annahme, dass komplexe Entscheidungsprobleme dadurch bewältigt werden, dass der Entscheider sich Klarheit über die zur Verfügung stehenden Entscheidungsalternativen und die zugrundeliegenden Entscheidungsziele (kurz Alternativen und Ziele) verschafft. Danach schätzt er die Wirkungen der Alternativen auf die Ziele ab und prüft, welche Ziele miteinander vereinbar sind und welche konkurrieren oder sich gar gegenseitig ausschließen. Aufbauend auf diesen Informationen versucht der Entscheider seine Aufmerksamkeit auf diejenigen Alternativen zu lenken, die einerseits die Beziehungen zwischen den Zielen berücksichtigen und andererseits den Prioritäten der Ziele genügen.
Zielkriterien wie eine gute Auslastung der Kapazitäten einer Anlage bei der Produktionsplanung oder geringer Kraftstoffverbrauch eines Autos als Grundlage einer Kaufentscheidung sind Beispiele von Entscheidungszielen. Entscheidungsalternativen können bei der Produktionsplanung beispielsweise verschiedene Stückzahlvorgaben sein. Beim Autokauf sind die verfügbaren Automodelle als Entscheidungsalternativen aufzufassen.

Die Entscheidungsziele "geringer Kraftstoffverbrauch eines Autos" und "hohe Endgeschwindigkeit" sind gegenläufig, die Ziele "geringer Kraftstoffverbrauch" und "Familienfreundlichkeit" eher gleichläufig. Im FuzzyDecisionDesk wird jedes Entscheidungsziel mit Hilfe von zwei Fuzzy-Mengen dargestellt. Die erste Fuzzy-Menge, die sogenannte Unterstützungsmenge, gibt für jede Entscheidungsalternative an, in welchem Maße das betreffende Ziel durch die jeweiligen Entscheidungsalternativen begünstigt (unterstützt) wird.
Die zweite Fuzzy-Menge, die sogenannte Behinderungsmenge gibt an, in welchem Maß die Entscheidungsalternativen das Erreichen des Ziels hemmen (behindern). Abbildung 1 gibt die Unterstützungs- und die Behinderungsmenge des Ziels "Familienfreundlichkeit" beim Autokauf mit verschiedenen Autovarianten als Entscheidungsalternativen wider.


Abbildung 1: Unterstützungsmenge und Behinderungsmenge des Zieles Familienfreundlichkeit.

Um Gleich- bzw. Gegenläufigkeiten zwischen zwei Zielen festzustellen, wird jeweils eine Fuzzy- Überdeckung der Unterstützungs- und Behinderungsmengen der Ziele berechnet. Eine hohe Überdeckung der korrespondierenden Unterstützungs- und Behinderungsmengen zweier Ziele, deutet eine hohe Gleichläufigkeit der Ziele an [Feli94].
Eine hohe Überdeckung der Unterstützungsmenge des einen Ziels mit der Behinderungsmenge des anderen und umgekehrt lässt dagegen auf eine Gegenläufigkeit der Ziele schließen [Feli94]. Wie das Wissen über die Zielgegenläufigkeiten und Zielgleichläufigkeiten zur Entscheidungsfindung verwendet wird, ist für jedes Zielpaar in sogenannten lokalen Entscheidungsstrategien festgehalten. Für jede Art der Beziehung zwischen zwei Zielen ist eine Entscheidungsstrategie definiert.
Für die Konkurrenz als Beispiel einer typischen gegenläufigen Beziehung zwischen zwei Zielen Z1 und Z2 kann die folgende Entscheidungsstrategie aufgestellt werden: Wenn Z1 und Z2 konkurrieren und der Grad der Konkurrenz hoch ist und Z1 wichtiger ist als Z2, dann betrachte diejenigen Entscheidungsalternativen als lokale Entscheidung, die Z1 unterstützen.

Die Bezeichnung lokal bringt zum Ausdruck, dass die vorgeschlagenen Entscheidungsalternativen zunächst nur aus der Sicht der beiden Ziele Z1 und Z2 getroffen worden sind. Die lokalen Entscheidungsalternativen bilden für jedes Zielpaar die sogenannte lokalen Entscheidungsmenge. Um eine globale, d.h. aus der Sicht aller beteiligten Ziele getroffene, Entscheidung zu ermitteln, werden alle lokalen Entscheidungsmengen mit Hilfe eines weiteren Fuzzy-Verfahrens, der sogenannten sukzessiven Schnittmengenbildung auf eine möglichst gute Überdeckung untereinander überprüft.
Bei der Ermittlung der denkbaren Überdeckungen der Ziele werden Zielprioritäten als steuernde Zusatzinformation verwendet. Es wird diejenige Überdeckung mehrerer lokaler Entscheidungsmengen ermittelt, die möglichst vielen Zielen mit möglichst hohen Prioritäten genügt. Im letzten Schritt der Entscheidungsfindung wird, falls gewünscht, aus der globalen Entscheidungsmenge genau eine Entscheidungsalternative ausgewählt, zum Beispiel indem eine Entscheidungsalternative mit höchster Fuzzy-Zugehörigkeit zur globalen Entscheidungsmenge ermittelt wird.

3. Kreditwürdigkeitsanalyse mit Fuzzy Entscheidungsunterstützung

Kreditwürdigkeits- und Kundenanalyseentscheidungen stellen anspruchsvolle Anforderungen in Bezug auf die Flexibilität und Qualität der Entscheidungen dar. Basierend auf dem Softwaretool FuzzyDecisionDesk ist die Lösung solcher Fragestellungen mit einer Qualität möglich, die bisher nur menschlichen Bewertern vorbehalten war.
Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie zum Einsatz von Fuzzy Logik im Bereich des Kreditwesens unter besonderer Berücksichtigung des Konzepts Service Center ist ein Systemprototyp zur Entscheidungsunterstützung bei der Kreditvergabe entwickelt worden. Aufgabe des Systems ist es, eine Klassifizierung der Kunden in "gute" und "schlechte" Kunden durchzuführen.
Dazu ist für jeden Kunden zu entscheiden, ob er in die Klasse "gute Kunden" oder in die Klasse "schlechte Kunden" einzuordnen ist. Der Übergang zwischen "guten" und "schlechten" Kunden ist fließend und erfolgt unter Berücksichtigung einer Reihe von Zielkriterien.

Das für die Fuzzy Entscheidungsunterstützung konzipierte Software-Tool FuzzyDecisionDesk ist für die Lösung multikriterieller Entscheidungs- sowie Optimierungsprobleme entwickelt worden. Die darin verfolgte Konzeption ermöglicht den Umgang mit unscharfen, fließenden Übergängen zwischen Zielkriterien und Entscheidungsalternativen, wie sie bei der vorliegenden Problemstellung der Kundenbewertung auftreten.
Zur Bewertung der Kunden wird ein bestimmter Satz von Kriterien betrachtet. Diese können durch den Kunden erfüllt, nicht erfüllt sowie mehr oder weniger erfüllt werden. Im Prozess der Entscheidungsfindung werden alle Kriterien gleichzeitig betrachtet, wobei verschiedene Kriterien fallabhängig zu gewichten sind, so dass unterschiedliche Kriterien fallabhängig den Entscheidungsprozeß beeinflussen.
Es wird entschieden, ob der betreffende Kunde ein "guter Kunde" ist und infolgedessen einen Zusatzkredit erhält oder ob es sich um einen "schlechten Kunden" handelt, dem kein weiterer Kredit gewährt wird. Fehlentscheidungen, die aufgrund einer nicht systematischen Vorgehensweise bei der Entscheidungsfindung entstehen, können mit Hilfe von Bewertungsstrategien der Fuzzy Entscheidungsunterstützung stark reduziert werden.

Durch eine nachvollziehbare Entscheidungsstrategie und eine Beobachtung der Kundenentwicklung (Soll-Ist-Vergleich) kann das System sehr gut an die bisher durch Mitarbeiter des Hauses vorgenommene Bewertung angepasst werden.
Neben einem Soll-Ist-Vergleich zwischen der prognostizierten und tatsächlichen Kundenentwicklung ("gut" oder "schlecht") kann, wie bereits bei der Entwicklung des Systemprototyps geschehen, vorhandenes Erfahrungswissen aus der Kundenbewertung gezielt einfließen.

4. Analyse des Entscheidungsverhaltens

Mit der ersten Version des Systems wurde eine Übereinstimmung von 76% erzielt. Nach einer anschließenden Diskussion mit den menschlichen Entscheidern und einer Analyse der Ergebnisse wurde das System angepaßt und die Übereinstimmung auf 92% gesteigert (s. Abb.).


Abbildung 2

5. Zusammenfassung

Die Fuzzy Entscheidungsunterstützung, wie sie in dem Tool FuzzyDecisionDesk realisiert wurde, erweist sich als eine leistungsfähige Methode, Analyse-, Planungs- und Klassifizierungsvorgänge bei komplexen Optimierungs-, Konfigurations- und Auswahlvorgängen in industriellen und kaufmännischen Anwendungen softwaretechnisch umzusetzen.
Durch die Orientierung an Zielkriterien mit ihren Gleich- und Gegenläufigkeiten erlaubt sie das Ermitteln einer angemessenen Balance zwischen Entscheidungszielen und eignet sich für Einsatzfelder, wie z.B. Kreditwürdigkeits-, Kunden- und Lieferanten-Analysen.

Literatur

[DuPr84] D. Dubois, H. Prade:
Criteria Agregation and Ranking of Alternatives in the Framework of Fuzzy Set Theory,
Studies in the Management Sciences, Volume 20, Fuzzy Sets and Decision Analysis.
[Feli94] R. Felix:
Relationships between goals in multiple attribute decision making,
in "Fuzzy Sets and Systems " 67, p. 47-52, 1994.
[Igel95] P. Igel:
Einsatz der Fuzzy Entscheidungsunterstützung zur Optimierung der Auslastung in der Automobilmontage,
Fuzzy Entscheidungsunterstützung in Management und Planung, Informationsseminar, Dortmund, Juni 1995.
[Saat80] T. L. Saaty:
The Analytic Hierarchy Process,
Mc Graw-Hill, 1980.
[Schu95] K. Schuster:
Kundenanalyse bei einer Bank mittels Fuzzy Logik,
Fuzzy Entscheidungsunterstützung in Management und Planung, Informationsseminar, Dortmund, Juni 1995.
[Yage76] R.R. Yager:
Possibilistic Decisions,
IEEE Transactions on Systems Man and Cybernetics 9, 1979.
[Zimm91]

H.-J. Zimmermann:
Fuzzy Set Theory - and its Applications.
Second Edition, Kluwer Academic Publishers, Boston/Dordrecht/London, 1991.