Fuzzy-Logik- basiertes Planungssystem

Der Betriebsleiter 1997, Heft 5

Fuzzy Logik- basiertes Planungssystem für Fertigungssteuerung und Materialdisposition

Christian Boehnke / Rudolf Felix

Kostendruck und Flexibilitätsanforderungen der KFZ-Industrie stellen deren Zuliefererbetriebe vor große logistische Herausforderungen, für die bisher nur mangelhafte Unterstützung aus dem EDV-Bereich vorlag. Erstmals wird nun ein Fuzzy-Logik-basierter Lösungsansatz eingesetzt.

An kaum einen anderen Bereich der Industrie werden so hohe Anforderungen hinsichtlich der Planung, der Fertigung und der logistischen Kette gestellt wie an die KFZ-Zulieferer. "Just-In-Time"-Auslieferung für Erstausrüstung, Bereitstellung eines breitgefächerten Sortiments für die Ersatzteilmarktbelieferung und die für den Außenhandel typische Vielzahl von Unwägbarkeiten im Exportbereich sind die Anforderungen, die sich durch die unterschiedlichen Kundenkreise ergeben. Vorgestellt wird ein Fuzzy Logik-basierter Lösungsansatz.

Als Bindeglied zwischen den Bereichen Vertrieb und Disposition sieht sich vor allem die Unternehmenseinheit Produktionsplanung und Materialdisposition mit diesen Anforderungen konfrontiert. Die Aufgabe der Produktionsplanung besteht darin, eine möglichst optimale Belegungsreihenfolge der Aufträge auf den zur Verfügung stehenden Maschinen festzulegen. In der Praxis hat der Produktionsplaner die Aufgabe, die vier logistischen Ziele

  • Termintreue
  • Durchlaufzeitreduzierung
  • Lagerbestandsminimierung und
  • Kapazitätsauslastung

bestmöglich miteinander zu verknüpfen. Erschwert wird dies zum einen durch die zum Teil konkurrierenden Ziele (z.B. Lagerbestandsminimierung und Kapazitätsauslastung), zum anderen durch die erschwerten Rahmenbedingungen wie Zeitdruck, häufige und kurzfristige Änderungen der Auftragslage und hohe Komplexität des Produktionsspektrums.

Der Planer sieht sich daher vor die Aufgabe gestellt, ein möglichst optimales Ergebnis auf der Basis ungenauer, unsicherer oder unvollständiger Informationen zu schaffen. Herkömmliche EDV-Systeme bieten hier nur ungenügende Unterstützung, so dass die Mitarbeiter gezwungen sind, derartige Informationen intuitiv und empirisch und unter Verwendung klassischer Hilfsmittel (wie z.B. Notizzettel) zu handhaben.

Um diesem Mißstand abzuhelfen, wurde im Rahmen der "Verbundinitiative Automobil NRW" -- ein Zusammenschluss von fünf mittelständischen direkten und indirekten Automobilzulieferern -- ein Projekt zur Erhöhung der logistischen Lieferqualität von Automobilzulieferern mit Hilfe von Fuzzy-Logik-basierten Planungssystemen für die Auftragsabwicklung (FLPA) ins Leben gerufen. Koordiniert wurde das Projekt von der Firma Hengst Filterwerke GmbH, Münster, die in enger Zusammenarbeit mit der FLS Fuzzy Logik Systeme GmbH, Dortmund sowie dem Fuzzy Demonstrations Zentrum Dortmund im Informatik Centrum Dortmund ICD ein entsprechendes Softwarepaket entwickelten.

Das FLPA ist in der Lage, sämtliche für einen Produktionsplaner relevanten Betriebsaufträge über alle Produktionsstufen hinweg unter Berücksichtigung aller benötigten Ressourcen (Personal, Maschinen, Material) einzuplanen und zu pflegen (Bild 1). Die Software wird dabei direkt auf den Arbeitsplatzrechnern der Produktionsplaner eingesetzt. Um den gewohnten "Look and Feel" bestehender Windows-Office-Applikationen zu erhalten, wurde als Betriebsystem Windows NT 4.0 gewählt und eine den Standardapplikationen ähnliche Oberfläche mit objektorientiertem Ansatz implementiert. Die Entwicklung der Benutzeroberfläche geschah in enger Zusammenarbeit mit den späteren Endanwendern, um optimale Akzeptanz des Systems sicherzustellen.

Beim Entwurf wurde eine dezentrale Steuerungsbereichstruktur nach dem Kunden-Lieferantenprinzip zugrunde gelegt (Bild 2). Dabei wird zum Beispiel die Vorfertigung als Lieferant der Endfertigung angesehen, die wiederum als Lieferant des Vertrieb arbeitet. Die Umsetzung dieses Prinzips erfolgt direkt durch Weitergabe von Aufträgen und Rückmeldungen zwischen den Produktionsstufen durch das FLPA-System. Die Arbeitsplatzrechner greifen über ein Netzwerk auf einen zentralen Datenbankserver zu, der sämtliche Betriebsdaten verwaltet. Änderungen der Auftragslage und der Planung werden dadurch ohne zusätzlichen Kommunikationsaufwand und ohne Zeitverzögerung zwischen den Planungsbereichen weitergegeben.

Der Planer erhält eine Ansicht aller für seinen Planungsbereich relevanten Aufträge (Bild 3). Eine Reihe in das System integrierte Werkzeuge erlauben eine schnelle Abfrage und Visualisierung des aktuellen Planungsgeschehens und des Auftragspools. Filter- und Suchfunktionen erlauben auch bei komplexerem Auftragsvolumen eine gute Übersicht. Es kann dabei auch manuell in die Planung eingegriffen werden, zum Beispiel durch Splitten, Neugenerierung oder Fixierung von Aufträgen. Die Auslastung von Betriebsmitteln und der bestehende Teile- und Personalbedarf kann ebenfalls tabellarisch und graphisch dargestellt werden (Bild 4).

Das Herzstück des Systems liegt aber in der automatischen Planung. Dabei wird vollautomatisch unter Berücksichtigung der bestehenden Situation und sämtlicher bekannter Bedingungen ein Planungsvorschlag erstellt. Durch die Einteilung der Aufträge in variable Klassen ist eine unabhängige Festlegung der zu verwendenden Planungsstrategie möglich, um eine optimale Anpassung an die Gegebenheiten des Planungsbereichs zu gewährleisten.

Der Planer kann dabei die möglichen Planungsziele wie Lagerbestandsminimierung, Durchlaufzeitreduzierung, Termintreue oder Kapazitätsauslastung durch unterschiedliche Prioritäten gewichten (Bild 5). Unter Rückgriff auf Methoden der Fuzzy- Entscheidungsunterstützung wird danach der Ablauf des Planungsalgorithmus gemäß der Priorisierung flexibel ausgelegt. Am Ende des Planungslaufs nimmt das FLPA dann selbsttätig eine Bewertung der Zielerreichungsgrade vor und stellt diese dar.

Dabei besteht die Möglichkeit, mehrere unterschiedliche Versionen der Planung zu erstellen und miteinander zu vergleichen, so dass der Planer mit vertretbarem Zeitaufwand unterschiedliche Priorisierungen der automatischen Planung oder Auswirkungen manueller Eingriffe vorwegnehmend simulieren kann, bevor er eine Planung endgültig freigibt. Treten kurzfristige Änderungen der Auftrags- oder Bestandslage auf, kann jederzeit eine Neuplanung unter Berücksichtigung sowohl der bestehenden Situation als auch der hinzugekommenen Änderungen durchgeführt werden. Die geringe Laufzeit des Planungsalgorithmus ermöglicht es, mehrere Planungen mit unterschiedlichen Gewichtungen in kurzer Zeit zu erstellen und zu bewerten.

Im Laufe der Zeit gesammeltes Erfahrungswissen über Betriebsabläufe läßt sich in das Planungssystem mit Hilfe des Fuzzy-Entscheidungstools FuzzyDecisionDesk der FLS GmbH einbringen und ermöglicht so eine Feinjustierung des Planungsablaufs (Bild 6) weit über die integrierten Priorisierungsmöglichkeiten hinaus.

Bei der Implementierung des Systems wurde großer Wert auf Flexibilität gelegt, da nach der erfolgreichen Erstinstallation bei der Hengst Filterwerke das FLPA auch bei den übrigen Projektpartnern eine Systeminstallation geplant ist. Aus diesem Grund ist das FLPA auch in anderen Industriezweigen neben der Automobilzuliefererbranche einsetzbar. Der Rückgriff auf den Endanwendern vertraute Standard-Hard- und Software für die Systembasis erleichtert die Einführung.

Bilder


Bild 1. Systemarchitektur des FLPA


Bild 2. Mögliche Strukturen mehrstufiger Fertigung


Bild 3. Ansicht relevanter Aufträge eines Planungsbereiches


Bild 4. Darstellung der Betriebsmittelauslastung


Bild 5. Gewichtung der Zeile eines Planungslaufes durch Prioritäten


Bild 6. Feinjustierung der Planungsparameter mit Hilfe des FDD