IT mit Kenner-Blick

SENSOR report, Oktober 2004

IT mit Kenner-Blick

Entscheidungsschärfe bei Bildverarbeitung mit unscharfen Eingangsgrößen

Von Herbert J. Joka

Eine auf den ersten Blick unorthodox erscheinende Software die in der automatisierten Bildverarbeitung eingesetzt wird, hat sich in den vergangenen zwei Jahren unter anderem in der Reifenindustrie als effizientes und effektives Softwaretool für die Bildverarbeitung in Produktion, Qualitätskontrolle wie auch der Reifen-/ Felgenmontage etablieren können.

Mit Qualicision® ist eine Entscheidungssoftware in der Industrie eingeführt worden, die mit «unscharfen» Eingangsgrößen einer optimierte Produktion sichert. Sie generiert trotz «weicher», teils schwer quantifizierbaren Eingangsgrößentechnisch hochwertige Entscheidungen, basierend auf dem Entscheidungsmechanismus des menschlichen Denkprozesses. Das soll hier am Beispiel der Produktion von Reifen näher erläutert werden.
Zunächst werden mit einem Extruder die späteren Laufflächen als «Band» hergestellt, die in weiteren Verabeitungsschritten schließlich zum Reifen werden. Unmittelbar nach Abschluss der Extrusion, die numerisch im Sinne der Qualitätssicherung noch nicht hinreichend analytisch beschrieben werden kann, werden zunächst Farbstreifen aufgebracht, die später als ein Art von Barcode zur Identifikation des vorliegenden Reifentyps verwendet werden.
Bei einem Bildverarbeitungssystem, das die Software Qualicision® von FLS Fuzzy Logic System nutzt, erfolgt das Teachen durch die Auswahl von geeigneten Referenzbildern. Bei Reifen ist bildgebungstechnisch zudem von Bedeutung, dass das Messobjekt sozusagen «Grau in Grau» ist und stets eine geeignete Beleuchtung sichergestellt werden muss. Die Ausprägungen der Merkmale werden in einer Referenzbildbasis abgespeichert.


Auch mit unscharfen Kriterien findet zu jedem Reifen die passende Felge,
überprüft durch die Bildverarbeitung und eine entsprechende Software mit Fuzzy-Technologie

Wollte man nun alle denkbaren relevanten Fehlermöglichkeiten bei der Produktion von Werkstücken in einem Bildverarbeitungssystem mit konventioneller Software hinterlegen, so würde das bedeuten, einen sehr umfangreichen wie detaillierten Katalog zusammentragen zu müssen, bei dem aber nicht auszuschließen ist, dass dann immer noch ein Fall auftreten kann, der nicht dokumentiert wurde. Das heißt konsequenterweise, dass alle nicht definierten Bilder zu einer Fehlermeldung führen müßten, auch wenn das Ergebnis im Rahmen der Qualitätsvorgaben liegt und ausschließlich auf bereits «abgebildete Fakten» zur Entscheidung zurückgreift.

Bildverarbeitung mit Durchblicks

Mit der hier vorgestellten Software jedoch, sieht es so aus, dass lediglich ein zahlenmäßig sehr begrenzter Katalog von «Gut-Bildern» und «Schlecht-Bildern» im Rahmen eines Teachins hinterlegt wird, der sozusagen die Entscheidungsgrenzen der Software definiert. Sie beurteilt auf Basis der vom Kunden vorgegebener Entscheidungsstruktur, ob ein generiertes Bild zu einem «Okay», «zu prüfen» oder «zu verwerfen» führt. Durch die Verwendung von problemunabhängigen Merkmalen und die im Kern der Software beinhaltete Technologie auf der Basis von Fuzzy-Logik, läuft die Überprüfung prozeßintegriert. Sie kann also im Falle eines Fehlers auch bei komplexen bzw. schwierigen Mustern unverzüglich reagieren. Die Bildverarbeitungssysteme können hardware- und softwaretechnisch auch so ausgelegt werden, dass gleichzeitig mehrere Kameras zum Einsatz kommen, um beispielweise ausgedehntere Flächen mit der nötigen Detailauflösung aufzunehmen, oder um die zu fahrende Taktfrequenz zusätzlich über das Maß der maximal möglichen Frequenz des einzelnen Systems zu steigern. Verfolgt man die Schritte der Reifenproduktion, so wird man feststellen, dass die einzelnen Reifentypen durch Farbstreifen, die sogenannte «Signierung» auf der Lauffläche markiert sind und damit identifizierbar werden. Hier ist es für das aufnehmende Bildverarbeitungssystem wichtig, auch bei den nicht vermeidbaren Schwankungen der Linienintensität und der Liniendicke eine zuverlässige und robuste Identifikation sicherzustellen. B eim Reifenhersteller ist sie deshalb von Bedeutung, um eine ordnungsgemäße Produktverfolgung zu ermöglichen. Die Reifen werden über Rollengänge geführt und schließlich im Sekundentakt über Weichen in zugeordnete Kanäle sortiert, um für den Abtransport zum Kunden zwischengelagert zu werden.

Zweifacher Nutzen

Das aufgetragene Farbstreifenmuster kommt ein zweites Mal beim Automobilhersteller zum Einsatz, wenn es darum geht, den richtigen Reifen mit der gewünschten Felge zusammenzuführen. Die Fuzzy-Software ist auch hier im Spiel, damit beispielsweise der Niederquerschnittreifen zu seiner speziellen Alu-Sportfelge oder der Standardreifen zu seiner Stahlfelge kommt. Sowohl die Bilder der Reifentypen mit ihrer Kennzeichnung wie auch die lieferbaren Felgen, sind im System als abrufbare Referenzdateien hinterlegt und ermöglichen eine zuverlässige Erkennung. Zu dieser «optisch kontrollierten Paarung» kommt bei der Rädermontage aber noch ein weiteres Element der Bildverarbeitung: die relative Positionierung des Reifens zur Felge. Denn jeder Reifen hat eine gewisse Unwucht, die sich nicht vermeiden lässt und in jeder Felge gibt es zum Beispiel ein Ventilloch, das ebenfalls zwangsläufig zu einer Unwucht führt. Positioniert und montiert man nun Reifen und Felge in optimaler Weise, dann minimiert sich zugleich die Unwucht des kompletten Rades. Qualicision® nimmt bei dem Vorgang den so genannten «Matchpunkt» der Felge und des Reifens ins Visier. Für Unternehmen hat die durchgängige Adaptierbarkeit der Bildverarbeitung und Prozesssteuerung den Vorteil, dass die betriebliche Softwarelandschaft leichter überschaubar bleibt. Damit geht eine bessere Beherrschung sämtlicher Teilprozesse und schnellere Adaption an Neuerungen einher, da Mitarbeiter nur auf einem (durchgängigen) System geschult werden müssen. Der Kern (die Decision Support Engine) der hier besprochenen Software ist so flexibel und kundenspezifisch adaptierbar, dass er mittlerweile unter anderem auch beider Produktionsplanung bei der BMW AG in allen Werken und für alle Modelle eingesetzt wird. Dort optimiert er die Reihenfolge der herzustellenden Fahrzeuge (das Sequencing) während der jeweiligen Schichten: wann wird welches Auto mit welcher Ausstattung hergestellt. Es arbeitet so schnell, dass nachträgliche Änderungen der Schichtplanung innerhalb von wenigen Sekunden reoptimiert werden. Für die Autokäufer heißt das, noch sechs Tage vor dem Produktionsbeginn maßgebliche Konfigurationsänderungen in Auftrag geben zu können, ohne dass die Produktion oder die Supply Chain gestört wird.

Herbert J. Joka, freier Journalist und Publizist in Aachen, ist Maschinenbauingenieur und befaßt sich neben technischen Themen mit Management- und Organisationsentwicklung. Er absolviert derzeit den Executive MBA für Technologiemanager an der RWTH Aachen und der Universität St.Gallen. (jokasenior-executivecom)