Darfs ein bisserl anders sein?

Factory, Ausgabe 3, 2003

 

 

Die steigende Produktvielfalt in vielen Unternehmen lässt manche Produktionsmanager schier verzweifeln. Ein Lösungsansatz, mit Unabwägbarkeiten wie überraschenden Änderungen im Auftragsstand oder Maschinenschäden klar zu kommen, ist die Fuzzy Logic.

Schwarzweißplanung ist bei BMW in München out. die sonst so straighten Bayern, deren erfolg nicht zuletzt auf einer straffen Modellpolitik beruht, geben sich in der Produktionsplanung weitaus flexibler, als man glauben könnte. Seit 2000 haben sich die Autobauer nämlich dem "Kundenorientierten Vertriebs- und Produktionsprozess", kurz KOVP genannt, verschrieben. Dahinter steckt der Einsatz von Fuzzy Logic, einer Methode, die sich mit der Modellierung von Daten und Regeln befasst, die nur zu einem Teil in scharfer Form vorliegen. "Wir bekommen im Monat rund 120.000 Änderungswünsche von Kunden und Händlern herein", erläutert Johann Köppl, KOVP-Projektleiter bei BMW. "Manchmal geht es nur darum, dass sich der Kunde plötzlich eine andere Farbe einbildet. Manchmal wird plötzlich anstelle eines Automatikgetriebes doch ein Schaltgetriebe gewünscht." das erfordert laufende Änderungen in der Produktion, denen man mittels geeigneter Softwahrtools gerecht zu werden versucht. Im Fall BMW kommt die Software "Qualicision®" vom Spezialisten FLS Fuzzy Logik Systeme aus Dortmund. Qualicision® ermöglicht eine weitgehend flexible Planung, die aber nicht erst beim Eingehen auf Kundenwünsche beginnt. Schon in der Fertigungsplanung werden die Prioritäten in das Programm eingegeben. So wird etwa festgelegt, ob bestimmtes Zubehör über den Tag gleichmäßig verteilt eingebaut wird oder ob es doch wichtiger ist dass alle schwarzen Autos hintereinander weglackiert werden? die von den Produktionsplanern eingegebenen Parameter werden in Sekunden berechnet und in eine Produktionsreihenfolge gefasst, die so viele Randbedingungen wie möglich bzw. nötig berücksichtigt.

Die Qual der Wahl

Aber auch in ganz anderen, weitaus weniger konsumentenabhängigen Produktionen mag man auf Fuzzy Logic nicht mehr verzichten, weiß etwa Johannes Stimpfl, Chef der Grazer Planungs- und Qualitätsmanagementprofis von Gamed, zu berichten. "Überall dort, wo die Planung so komplex wird, dass klare Algorithmen nicht mehr greifen, ist Fuzzy Logic gefragt", erläutert Stimpfl. "Wir setzen dabei auf Modelle von Siemens oder dem Fraunhofer-Institut. Mit ihnen kann in der Produktion laufend abgeglichen werden, wie einzelne Punkte zu optimieren sind." Besonders in der Stahlindustrie, wo die Produktvielfalt extrem hoch ist, verlässt man sich mittlerweile gern auf die "Unschärfen" der Fuzzy-Logic-Systeme. "Der Produktionsleiter kann selbst festlegen, welche Kriterien und Restriktionen das jeweilige Produkt unterliegt", weiß Stimpfl. "Das beginnt etwa dabei, welche Farbsprünge gemacht werden können, oder in der Festlegung der Reihenfolge der Dimensionen."

Produktvielfalt, Maße, Qualitätsanforderungen oder die Oberflächenbeschaffenheit seien gerade in der Metallverarbeitenden Industrie so groß, dass sich ein festes Regelwerk als Hemmschuh erweisen würde. "Fuzzy Logic ist, wenn Sie so wollen, eine Art Probiermethode", erklärt der Gamed-Chef weiter. "Mit der Zeit entsteht jedoch ein Produktionstopf, aus dem ich dann meine jeweiligen Masterpläne ableiten kann." dies gelte natürlich nicht nur für sich laufend ändernde Aufträge. "Fuzzy-Logic-Systeme bewähren sich auch dann, wenn es zu einem Maschinenausfall, zum Bruch eines Werkzeuges oder zu Qualitätsproblemen kommt", ist Johannes Stimpfl überzeugt.

Die FL-Tools

Dass die "Sowohl-als-auch" - Methode nicht nur im harten Produktionsalltag funktioniert, zeigen die FLS-Experten mit ihrer Qualicision®-Software mittlerweile auch durch den Einsatz der Software für das Internet-Factoring bei der deutschen heller Bank. Dort ermöglicht das System sogar den Abschluss von Krediten via Internet. Qualicision® ermöglicht dabei nicht nur, Entscheidungen direkt im Web darzustellen und herbeizuführen; neben reinen Plausibilitätsabfragen nimmt das Programm sogar auch bankrechtliche Bewertungen vor. Das Portfolio der FLS in Dortmund ist jedenfalls breit genug, um den unterschiedlichsten Anforderungen gerecht zu werden: Reihenfolgeoptimierung (Sequenzing), die Berechnung von Rohbau-, Lack- und Montagesequenzen, dispositive Einplanung, operative Steuerung, Einlager- und Auslageroptimierungen, Optimierungen für Gassenspeicher und Bahnenpuffer, Visualisierungen der Sequenzen in den Fertigungsbereichen, Fertigungsleitstand für die werkstattorientierte Fertigung und Consulting gehören dazu.

Alleskönner?

Bei BMW ist der Qualicision®-Einsatz mittlerweile auch in der täglichen Produktion zum Normalfall geworden. Ganz "normal" ist demnach auch , dass die Reihenfolgenplanung immer wieder angepasst werden muss. "Ein regelmäßig auftretendes Ereignis ist", so KOVP-Leiter Johann Köppl, "neben den produktionsbegleitenden Qualitätssicherungsmaßnahmen die Aussortierung einer Karosserie durch unsere Qualitätssicherung für umfassende Prüfungen." Daraus dürfe heute kein Problem mehr entstehen. Mussten Kunden, deren Blechhaut einer derartigen Spezialinspektion unterzogen wurde, früher einfach länger auf ihr Fahrzeug warten, vollzieht sich dieser Vorgang heute praktisch unmerklich.

Die Software schlägt dem Produktionsplaner nämlich innerhalb weniger Augenblicke eine andere Karosserie vor und berechnet die neue Produktionsreihenfolge, sodass alle anderen Fahrzeuge auch wie geplant gebaut werden können. War man früher auf Statistiken und Schätzungen angewiesen, so ermöglicht das FL-System heute die Planung des gesamten Prozesses, vom Rohbau über die Lackierung bis zur Montage innerhalb weniger Tage. Im Schnitt, so heißt es bei BMW, würden zum Beispiel in Dingolfing und Regensburg täglich 2.100 Fahrzeuge gefertigt. Ganze zwei Stück seien laut Köppl im Schnitt und pro Jahr identisch. Nur eine Minute, schwören die Bayern, dauert die Berechnung einer ganzen Tagesproduktion. Der Teilebedarf aus Rohbau und Lackiererei wird (zusammen mit jenen Teilen, deren Produktion am jeweiligen Tag bereits begonnen hat) innerhalb von 15 bis 30 Minuten zurückgerechnet. Damit hat man es geschafft, die Frist, bevor ein BMW vom Band läuft, von ehemals 30 auf ganze 12 Tage zu verkürzen.