Losgröße eins bei Auslastung hundert

inno 1997, Heft 4

Optimierung der Auslastung in der Automobilmontage mit Fuzzy Entscheidungsunterstützung

P. Igel, H. Pammer, BMW AG, Regensburg
Rudolf Felix, Fuzzy Demonstrations-Zentrum Dortmund im
ICD Informatik Centrum Dortmund e.V., Dortmund

1. Einleitung

Die Montage von Automobilen stellt einen Fertigungsprozeß dar, dessen Steuerung von einer Reihe von naturgemäß auftretenden Störungen und Schwankungen abhängt. Sperrungen und Freigaben von Modellvarianten und Sonderausstattungen erfordern eine flexible Reaktionsfähigkeit des Steuerungspersonals, um eine möglichst gleichmäßige Auslastung der Montagekapazitäten zu gewährleisten (s. Abb. 1: Sperrungen). Dazu wird oftmals nach Absprache mit dem Schichtleiter manuell in die Steuerung des Montageablaufs eingegriffen, indem die Einsteuerungsreihenfolge der Karossen in den Montagebereich und der daraus resultierende Sonderausstattungsmix modifiziert werden. Wegen der Komplexität der Auswirkungen eines Sonderausstattungsmixes auf die Montageauslastung ist eine Überwachung aller Randbedingungen und eine Optimierung des Montageprozesses "mit bloßem Auge" sehr schwierig.


Abbildung 1: Sperrungen

2. Fuzzy Entscheidungsunterstützung bei Optimierungsentscheidungen

Die Aufgabenstellung innerhalb eines für BMW durchgeführten Projektes war die Optimierung des Ausgleichs von Einsteuerungsschwankungen im Montage-Hochregallager sowie die gleichmäßige Werkerauslastung.

Wie komplex die zu behandelnde Optimierungsaufgabe ist, wird im folgenden verdeutlicht:

Die Herstellung der Fahrzeuge erfolgt in mehreren nacheinander ablaufenden Schritten. Zunächst werden die Rohkarossen erstellt. Nachfolgend werden die Rohkarossen lackiert und im sogenannten Hochregallager gelagert. Je nach Produktionsprogramm werden die nun lackierten Karossen in den Montagebereich befördert, in dem die Baugruppen wie Fahrwerk oder Motor und die in Abhängigkeit von Modellvarianten anfallenden Sonderausstattungen wie elektrische Fensterheber, Schiebedächer oder Klimaanlagen montiert werden.

Die Montage erfolgt in mehreren hintereinander geschalteten Montagestationen, in denen spezialisierte Teams von Werkern arbeiten. Je nach Modellvariante erzeugt ein den Montagebereich passierendes Modell unterschiedliche Arbeitsbelastungen in den jeweiligen Montagestationen. Die Reihenfolge, mit der die Modelle in den Montagebereich befördert werden, hat entscheidende Bedeutung für die Auslastung der Montagestationen. Es gilt, die Reihenfolge so zu bestimmen, dass die Auslastung der Montagestationen möglichst gleichmäßig und möglichst nah bei 100 % liegt, um insgesamt, über längere Planungszeiträume betrachtet, eine möglichst kostengünstige Montage sicherzustellen.

Einflussgrößen wie Sperrungen bzw. Freigaben von Modellvarianten, Sonderausstattungen, Farben etc. in den Bereichen Rohbau und Lackiererei verändern den Optimierungsbestand im Hochregallager. Hierdurch wird eine Einflussnahme auf die Optimierungsparameter zur Ermittlung der Aussteuerungsreihenfolge der Fahrzeuge aus dem Hochregallager erforderlich. Die Optimierungsparameter geben den für den aktuellen Tag in der Montage zu bearbeitenden Typen- und Sonderausstattungsmix (z. B. Modell 3 ohne Schiebedach) in Stückzahlen an.

Die Komplexität der Auswirkungen einer Sperrung auf die zur Verfügung stehenden Stückzahlen an Modelltypen und Sonderausstattungen macht eine manuelle Überwachung der Einhaltung aller Montage- und Auslastungsrestriktionen nahezu unmöglich. Dazu kommt, dass nicht jede Sonderausstattung eines Fahrzeuges in allen Montagestationen bearbeitet werden muss. Es ist festzustellen, dass sich Variationen des Typen- und Sonderausstattungsmixes durch Änderung der Optimierungsparameter in der Regel nicht einheitlich auf die Auslastungssituation in den Montagestationen auswirken (s. Abb.: 2 Anteile).


Abbildung 2: Anteile

Zur Lösung der beschriebenen Aufgabe haben das Fuzzy Demonstrations-Zentrum Dortmund im ICD e. V. und die FLS Fuzzy Logik Systeme GmbH, Dortmund, die Fuzzy Entscheidungsunterstützung mit dem entsprechenden Tool FuzzyDecisionDesk erfolgreich eingesetzt.

3. FuzzyDecisionDesk

Für die BMW AG, Werk Regensburg, wurde das FuzzyDecisionDesk um problemspezifische Module erweitert, die über zusätzliche Schnittstellen Daten über die aktuelle Produktionssituation errechnet. Auf dieser Datengrundlage ermittelt FuzzyDecisionDesk mehrere alternative Sätze von Optimierungsparametern. Jeder dieser Parametersätze wird hinsichtlich seiner voraussichtlichen Auswirkungen auf die Auslastungssituation in den Montagestationen und den Optimierungsbestand im Hochregallager bewertet. Die Bewertung wird anschließend durch Zugehörigkeitsfunktionen in Wirkungen umgesetzt. Aus diesen Wirkungen und alternativen Parametersätzen wird eine Wirkungsmenge erzeugt, die die Auswirkungen der Optimierungsparameter auf die Auslastungen der Montagestationen beschreibt. Diese Wirkungsmenge stellt die Eingabe für FuzzyDecisionDesk dar.

Mit Hilfe des FuzzyDecisionDesk kann das Steuerungspersonal nun die Auslastungsziele der einzelnen Montagestationen gewichten und über die zur Auswahl stehenden Optimierungsalternativen entscheiden. Das Ergebnis der Entscheidung ist ein Satz von Optimierungsparametern, der die Aussteuerungsreihenfolge der Fahrzeuge aus dem Hochregallager in die Montagestationen bestimmt (s. Abb.: 3 Ausgew. Parametersätze). Um die Qualität der Entscheidung zu visualisieren, werden systemrelevante Kenngrößen und spezielle Statistiken erzeugt und grafisch angezeigt (s. Abb.: 4 Auslastungsprognose).


Abbildung 3: Ausgewertete Parametersätze


Abbildung 4: Auslastungsprognose

4. Zusammenfassung

Durch den Einsatz der Software FuzzyDecisionDesk findet eine systematische, methodisch abgesicherte situationsabhängige Optimierung steuernder Eingriffe in den Montageablauf statt. Die beschriebene Konzeption ist für die BMW AG, Werk Regensburg, umgesetzt worden, wobei vorhandene Kapazitätsschwankungen in der Montage deutlich reduziert und ein effizienter Einsatz des Montagepersonals ermöglicht werden konnten.

Literatur

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