Produktidentifikation mit Fuzzy- Bildanalyse

ident 1998, Heft 3

Dr. Rudolf Felix, Rainer Albersmann

1. Einleitung

Die Automatisierung von visuellen Auswertungen der Ergebnisse von Verarbeitungsschritten in Produktionsprozessen erfordert den Einsatz adäquater Bildanalysesalgorithmen, die einerseits in der Lage sind, qualitative Merkmale wie z. B. das Vorhandensein von Störungen in Prüfobjekten zu erkennen. Aufgrund der ständig variierenden Produktpalette setzt die Automatisierung der Produktprüfung eine flexible Eingabe von Referenzbildern und Merkmalen voraus, auf die die Prüflinge zu untersuchen sind. Grundlage der im folgenden dargestellten Ansätze sind spezielle Fuzzy-Verfahren, die eine hohe Effizienz der Bildanalysen sichern. Die verschiedenen Fuzzy- Verfahren sind in Form von Softwaretools im Rahmen des von der Firma Stemmer Imaging GmbH, Puchheim entwickelten CVC-Common Vision Concept für industrielle Bildanalyseaufgaben verfügbar.

2. Strukturelle Fuzzy-Bildanalyse

Die Automation von industriellen Produktionsprozessen ist durch den zunehmenden Einsatz von Bestückungs-, Plazierungs-, Positionierungs- und Sortierautomaten gekennzeichnet. Die Fähigkeit, die Arbeitsweise derartiger Systeme effizient, gegebenenfalls in Echtzeit, zu steuern, zu überwachen und Korrekturoperationen oder flexible Anpassungen durchzuführen, bietet zusätzlich hohe Automatisierungs- und damit Kostensenkungspotentiale. Dabei kommt es darauf an, strukturelle Bildinformation zur Identifikation von Produkten und Werkstücken wie z.B. Beschriftungen und Kennzeichnungen geeignet auszuwerten.
Der Begriff strukturell bedeutet dabei das Erkennen, Analysieren und Verarbeiten von Bildinformationen, die in ihrer räumlichen Anordnung Rückschlüsse auf Formen und Werkstücksarten somit auf die Identifikation von Werkstücken erlauben. Zum Beispiel erlaubt eine effiziente Analyse von Werkstückskonturen die Ableitung von Steuerungsbefehlen, welche die Manipulation des Werkstückes, z. B. zwecks Bestückung einer Folgebearbeitungsstation, bestimmen. Gegenwärtig werden solche Aufgaben noch durch den Einsatz kostenintensiver Sensorik oder durch Mitarbeiter wahrgenommen.
Beispiele von Systemen, die strukturell auszuwertende Bildinformationen verarbeiten, sind:

  • Produktidentifikationssysteme
  • Werkstückerkennungssysteme
  • Präsenzanalysesysteme
  • Positionierungssysteme
  • Sortierautomaten
  • Kennzeichnungsidentifikation

Die Kennzeichenidentifikation kann anhand eines Systems zur Zeichenerkennung verdeutlicht werden. Die in Abbildung 1 dargestellte Anwendung der strukturellen Fuzzy Bildanalyse zeigt, wie strukturelle Fuzzy-Ähnlichkeiten von Ziffern ausgewertet werden. Die Fuzzy-Ähnlichkeiten können die korrekte Zuordnung der Zeichen auch dann vornehmen, wenn die Zeichen verschwommen, unterbrochen, falsch positioniert, gedreht, etc. sind.


Abbildung 1: Strukturelle Fuzzy Bildanalyse mit CVC -
FuzzyDecisionDesk-Relation in der Zeichenerkennung.

3. Qualitative Fuzzy-Bildanalyse

Optisch erfasste Informationen werden in der Qualitätskontrolle, z. B. bei der Analyse von Materialeigenschaften wie Schweißnähten oder Klebstellen, in der Regel in qualitativer Form ausgewertet. Qualitativ bedeutet, dass Bildinformationen, wie Dichteverteilungen, Graustufenübergänge, Kontrastverschiebungen bzw. -abweichungen oder Anhäufungen von Störstellen ausgewertet werden, wobei die genaue Form und die Lage der einzelnen Merkmale der Bildinformation variieren dürfen.
So ist etwa bei der Untersuchung von Materialien auf Risse nicht die genaue Lage der Risse, sondern ihr Vorhandensein im zu untersuchenden Bereich sowie die relative Größe ihrer Ausprägung von Bedeutung. Bei vergleichbaren Aufgabenstellungen versuchen konventionelle Verfahren, detaillierte Informationen über Lage, Anzahl und Größe von Störungen selbst dann abzuleiten, wenn diese Informationen in ihrer Detailliertheit nicht interessieren.
Methoden der qualitativen Fuzzy Bildanalyse werten von vornherein nur die tatsächlich benötigten qualitativen Informationen aus und sind deshalb in der Lage, mit hinreichender Genauigkeit wesentlich effizienter zu arbeiten. Abbildung 2 zeigt das Beispiel einer Untersuchung von Öberflächenbeschaffenheiten mit Hilfe der qualitativen Fuzzy-Bildanalyse.


Abbildung 2: Qualitative Fuzzy Bildanalyse mit CVC - FuzzyDecisionDesk-Surface.

4. Problemunabhängigkeit der Fuzzy-Bildanalyseverfahren

Die Problemunabhängigkeit der vorgestellten Bildanalyseverfahren ist durch die Verwendung der sogenannten Sektorisierung gesichert. Bei der Sektorisierung wird jedes Referenzbild und jedes zu analysierende Bild in Ausschnitte (Sektoren) zerlegt. Für jeden der Sektoren werden anschließend Merkmale extrahiert. Beispiel eines Merkmals ist der durchschnittliche Grauwert sowie Grauwertübergänge.
Die gewonnenen Merkmale von Referenz- und Testbildern werden mit Hilfe unscharfer Ähnlichkeitsbegriffe verglichen. Die Wahl der Größe (und der Lage) der Sektoren bestimmt die Tatsache, ob eine vorliegende Bildanalyse eher einen qualitativen oder strukturellen Charakter hat. Je feiner die Sektorisierung desto stärker der strukturelle Charakter der Bildanalyse. Je gröber die Sektorisierung, desto stärker der qualitative Charakter der vorliegenden Bildanalyse.
Die Durchführung der Vergleiche kann sowohl Fuzzy regelbasiert, d.h. durch Ableitung von Fuzzy- Regeln, die das Erfahrungswissen des Bedieners über die Aufgabenstellung widerspiegeln, als auch mit Hilfe der Fuzzy-Ähnlichkeitsbegriffe erfolgen. Beide Ansätze haben ihre Praxisreife bewiesen und liegen in Form von Softwaretools im Rahmen des CVC-Konzeptes vor.
Die Fuzzy-Ähnlichkeiten stellt das Tool FuzzyDecisionDesk-Relation zur Verfügung. Regelbasierte Ansätze können mit Hilfe des FuzzyDecisionDesk-Image realisiert werden. Für den Bereich der allgemeinen Oberflächenanalyse wird das Tool FuzzyDecisionDesk-Surface empfohlen.

5. Einführung in das CVC Konzept

Das Common Vision Concept (CVC) bietet eine weltweite Standardplattform, die sämtliche Bereiche der Bildverarbeitung, angefangen von der Beleuchtung über Kameratechnologien bis hin zur Auswertung von Meßergebnissen und anschließender Maschinensteuerung über digitale I/O-Karten, abdeckt. Zentrales Element dabei ist der allgemeine Zugriff auf die Bilddaten und die gleichartige Bedienung unterschiedlichster Tools.
Ziel des Common Vision Concepts ist es, dem Bildverarbeitungsanwender einen leichteren Zugang und damit eine schnellere Realisierung von Bildverarbeitungsanwendungen zu ermöglichen. Auf der anderen Seite soll es Entwicklern von Tools ermöglicht werden, sich auf ihre eigene Aufgabenstellung zu konzentrieren, ohne sich um die Ansteuerung unterschiedlichster Hardware kümmern zu müssen. Die Lebensdauer einer Bildverarbeitungsapplikation wird somit nicht mehr von der Lebensdauer einer Bildverarbeitungshardware bestimmt. Außerdem können bereits erstellte Applikationen ohne Aufwand auf neue Bildverarbeitungshardware angepasst werden und so mit der Performance der aktuellen Hardware arbeiten.
Das CVC birgt somit wesentliche Vorteile sowohl für den Anwender als auch für den Anbieter von Software und Hardware. Bei der Entwicklung des CVC wurde auf die Erweiterbarkeit besonderer Wert gelegt. Erreicht wird diese hohe Flexibilität durch ein 5-Schichten-Modell einer Bildverarbeitungsapplikation wie in Abbildung 3 dargestellt.


Abbildung 3: CVC - Common Vision Concept.

Das 5-Schichten Modell umfaßt folgende Ebenen (von oben nach unten):

  • Applikations-Ebene
  • Entscheidungs-Ebene
  • Algorithmik-Ebene (Display und Bildverarbeitungstools)
  • Hardware-Abstraktions-Ebene (Image- und Hardwaretreiber)
  • Hardware-Ebene

Die einzelnen Ebenen stellen kein festes Gerüst dar, dem eine Bildverarbeitungs-Applikation folgen muss, sie stellen vielmehr eine maximale Tiefe einer Bildverarbeitungs-Applikation dar, wobei nicht alle Ebenen besetzt werden müssen und Zugriffe über Ebenen hinweg erlaubt sind. Wichtig ist die Erweiterbarkeit des gesamten Konzeptes durch Module, die der Benutzer selbst erstellt. Dies muß innerhalb aller Ebenen erlaubt und mit möglichst wenig Aufwand realisierbar sein.
Die Schichten spiegeln die unterschiedlichen Positionen von Entwicklern wieder. Zum einen gibt es den Benutzer von Tools, der möglichst schnell eine Applikation fertigstellen möchte, daneben gibt es Spezialisten für die Auswertung von Meßergebnissen, die wiederum von Spezialisten für die Generierung von Messdaten ermittelt wurden. Als unterstes Glied in dieser Kette steht der Anbieter von Hardware, der seine eigene Hardware bestens kennt und somit für die Ansteuerung der Hardware verantwortlich ist.
Mit Hilfe des CVC wird dieses Spezialistentum zum Nutzen des Anwenders gefördert. Die nachfolgend dargestellte Anwendung, der echtzeitfähigen Lagekontrolle von beliebigen Dokumenten in Kartons bei der Kommissionierung im Versandlager der Firma Datev e.G. in Nürnberg, basiert auf dem regelbasierten Ansatz und wurde mit Hilfe des Tools CVC FuzzyDecisionDesk-Image der Entscheidungsebene gelöst.

6. Strukturelle Bildverarbeitung in der Kommissioniertechnik mit FuzzyDecisionDesk-Image

Die Versandabteilung der Firma Datev e.V. stand vor der Situation, häufig mehrere voneinander unabhängige Dokumente an denselben Adressaten senden zu müssen. Normalerweise wird so verfahren, dass alle Sendungen parallel versandt werden und der Empfänger deshalb mehrere Briefe oder Pakete an einem Tag gleichzeitig erhält.
Um aus Kostengründen derartige Mehrfachsendungen zu vermeiden, werden mehrere unabhängige Sendungen in einem Verpackungskarton (Tray) per Handhabungstechnik kommissioniert, über fördertechnische Einrichtungen transportiert und zur Versendung gebracht. Die aus Pappe hergestellten Behälter haben jedoch die Eigenschaft, durch den Gebrauch im Lauf der Zeit deformiert zu werden und dadurch unterschiedliche Maße sowie Formen zu besitzen.
Sie sind zudem um einiges größer als das Transportgut selbst, damit eine problemlose Befüllung sichergestellt werden kann. Bei der Automatisierung logistischer Prozesse führt das dazu, dass die Tray-Positionen im Transportverlauf mit größeren Toleranzen auftreten, gestapelte Dokumente sich verschieben und verschobene Dokumente beschädigt werden können.
Blätter schauen hervor (siehe Abbildung 4), werden unter Umständen geknickt und verdecken vielleicht sogar den Dokumenten-Barcode auf dem Adressblatt.


Abbildung 4: Strukturelle Fuzzy Bildanalyse mit CVC-FuzzyDecisonDesk-Image in der Qualitätskontrolle.

Mit der von der F/L/S Fuzzy Logik Systeme GmbH in Zusammenarbeit mit dem Fuzzy Demonstrations-Zentrum Dortmund im Informatik Centrum Dortmund ICD e.V. entwickelten Fuzzy-On-Line-Lagekontrolle steht nun ein Verfahren zur Verfügung, das die verschiedensten Fehlermöglichkeiten der Stapelung nach der Befüllung der Trays erkennt, bewertet und gegebenenfalls die nachzubearbeitenden Dokumentenstapel in den Trays aus dem Prozess führt. Von Hand neu auszurichtende Stapel können, ebenso wie verschlissene Trays, nun nicht mehr den Betriebsablauf stören, da sie ausgeschleust werden.
Die automatische Ausschleusung wurde über die direkte Kommunikation des On-Line-Systems mit der speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS) der Förderanlage realisiert. Obwohl der Prozess durch hohe Echtzeitanforderungen gekennzeichnet ist, stellt die Fuzzy Software, eine Erkennungsqualität sicher, die trotz der Hochgeschwindigkeitserkennung der Qualität menschlicher Entscheidungen gleichkommt.

7. Zusammenfassung

Es wurden die qualitative und strukturelle Bildanalyse gegeneinander abgegrenzt.
Die vorgestellte Sektorisierung bietet die Möglichkeit, qualitatives und strukturelles Vorgehen bei variierenden Aufgabenstellungen adäquat zu gewichten. Die Verwendung von Fuzzy Ähnlichkeitsbegriffen erlaubt hierbei eine sehr effiziente Vorgehensweise.
Die Sektorisierung, die je nach Granularität der Sektoren stärker den qualitativen oder den strukturellen Charakter der durchzuführenden Analysen betont, führt zu einem Verfahren, dessen besonderes Potential im Bereich der Echtzeitbildanalyse und -klassifikation liegt. Beispiele erfolgreicher Anwendungen belegen die Leistungsfähigkeit des Verfahrens. Der regelbasierte Ansatz ist dann besonders empfehlenswert, wenn zusätzliche charakteristische Eigenschaften von Bildern bekannt sind.
Diese zusätzlichen Eigenschaften können regelbasiert besonders einfach nachträglich in bestehenden Lösungen integriert werden.
Für alle Ansätze stehen die entsprechenden CVC- Tools FuzzyDecisionDesk-Relation, FuzzyDecisionDesk-Image und FuzzyDecisionDesk-Surface zur Verfügung.

Literatur

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[FLS97] Handbuch zum Softwaretool FuzzyDecisionDesk-Image Version 1.0,
FLS Fuzzy Logik Systeme GmbH, Dortmund
[FLS98a] Handbuch zum Softwaretool FuzzyDecisionDesk-Relation Version 1.0,
FLS Fuzzy Logik Systeme GmbH, Dortmund
[FLS98b]

Handbuch zum Softwaretool FuzzyDecisionDesk-Surface Version 1.0,
FLS Fuzzy Logik Systeme GmbH, Dortmund